Zurück

„Karle hosch scho gwusst…“

2021-01-20

…dass das mit dem Lockdown eine sehr verzwickte Sache ist? Zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 sollte das Instrument „Lockdown“ eine einmalige und zeitlich limitierte Sache sein – ein strenger, aber kurzer Eingriff in die Bewegungsfreiheit eines jeden Einzelnen zum Schutz aller. Inzwischen hat sich der Lockdown, ob „light“ or „hart“, zur Normalität entwickelt. Beratungen über Lockdown-Verlängerungen oder Verschärfungen gehören zur täglichen Berichterstattung wie das Wetter. Die Glaubwürdigkeit der federführenden Politiker*innen dieses Landes, was die Effektivität der Maßnahmen betrifft, geht immer mehr gegen Null. Und die regelrechten „Lockdown-Orgien“ schaden nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der einzelnen sowie kollektiven Psyche. Jede/r von uns spürt die Hilflosigkeit, mit der unsere Regierung, aber auch die sogenannten Experten*innen, ihre Empfehlungen und Anweisungen begründen. Der Vertrauensverlust in die Dinge, welche uns auferlegt werden, sowie die zum Teil scheinbare Beliebigkeit der Auflagen, sorgen letztendlich dafür, dass wir diese Auflagen nur mit innerem Widerstand und zunehmend halbherzig realisieren. Je länger dieser Zustand andauert, desto gewaltiger zehrt er an unseren Kräften und führt in eine immer offensichtlicher werdende volksweite Lethargie, die sich in der Oberflächlichkeit widerspiegelt, mit der über die Pandemie und ihre Folgen berichtet bzw. diskutiert wird. Kleinigkeiten und täglich neue Infektions- und Sterberaten sowie die ewige Diskussion über den „Lockdown“ bestimmen die Berichterstattung. Ernste Themen, die unsere Gesellschaft nachhaltig auch lange über die Krise hinaus verändern werden, wie Resilienzverlust im Home Office, die psychische Instabilität vieler Familien, die Veränderung von Arbeitsweisen und -prozessen, die Bewusstwerdung von echter Systemrelevanz oder die Angst vor einer großen wirtschaftlichen Rezession – diese Themen werden an den Rand gedrängt. Diese Priorisierung in der Berichterstattung verändert die Einstellung der Gesellschaft zu den beschlossenen Maßnahmen und damit auch den gesellschaftlichen Zusammenhang. Ein Lockdown mag im Frühjahr als einmalige Maßnahme sinnvoll und zeitweise effektiv gewesen sein. Als Strategie zur Überwindung der Pandemie hat er sich aber als Fehlentscheidung, da zu wenig effektiv, erwiesen. An einem Strategiewechsel führt eigentlich kein Weg vorbei. Allerdings hat unsere Regierung den „Point of no Return“ in der Pandemiebewältigung längst überschritten – eine Umkehr ist daher aus Sicht der Bundesregierung und Ministerpräsident*innen gar nicht mehr möglich. Selbstkritik, Selbstzweifel und vor allem die Ehrlichkeit eines „Eingeständnisses des Versagens“ sucht man bei unseren Regierenden vergeblich. Woran liegt das? Das Verhalten der Regierenden nur damit zu begründen dass wir uns in einem Bundestagswahljahr befinden, ist zu einfach gedacht. Es haben sich vielmehr systemische Fehler offenbart: Balance und offener Austausch in Debatten fielen dem Profilierungswahn einzelner zum Opfer und über den präsidialen Führungsstil des Kanzleramtes verzieht schon kaum mehr jemand das Gesicht. Damit werden die systemischen Fehler zu chronischen Fehlern. Bewusst werden Fehlentscheidungen oder Fehlleistungen akzeptiert; dass Fehlerkorrekturen notwendig sein könnten, wird ausgeblendet. Die absolut unkritische Auseinandersetzung mit Regierungsentscheidungen und das Prinzip des Schönredens prägen dann zum Leid aller die Tagesordnung. Der Lockdown ist somit nicht nur an sich, sondern auch in der Kommunikation und Diskussion um ihn herum eine verzwickte Sache für alle Beteiligten. Letztlich stellt er auch eine Gefahr für unsere Demokratie dar. Es bleibt abzuwarten, wie lange wir uns diese Bevormundung und diesen Schwebezustand von Lockdown zu Lockdown bis zu einer endlich konsequenten Pandemie-Bekämpfung noch bieten lassen. Die deutsche Seele ist nämlicher durchaus empfindlicher als viele wahrhaben wollen – und sozialer Liberalismus geht anders.